Zwei von drei Menschen in Deutschland fühlen sich mehr oder weniger einsam, hat das Marktforschungsinstitut Harris Interactive vor Kurzem herausgefunden. Von den 1200 Studienteilnehmern im Alter von 16 bis 85 Jahren sagt nur jeder Dritte, er oder sie sei »überhaupt nicht einsam«. In einer vergleichbaren Untersuchung von 1993 sagte das noch die Hälfte der Befragten. Heute fühlen sich 20 Prozent der Studienteilnehmer »leicht«, 23 Prozent »mittel« und 20 Prozent »stark einsam«. Weitere Überraschung: In meiner Altersgruppe, der zwischen 40 bis 49 Jahren, ist das Gefühl »starker Einsamkeit« besonders hoch. Um mit ihrer Einsamkeit klarzukommen, hat die Studie ergeben, schauen die Einsamen viel fern, vor allem Serien und Shows. Andere lesen viel oder hören Musik. Komisch, dass soziale Medien in den Bewältigungsstrategien überhaupt nicht vorkommen – dafür der Schützenverein (neun Prozent), Baldrian (drei Prozent) und Joints (ein Prozent). Dabei sind Facebook und Twitter eine echte Hilfe für Menschen wie mich, die an manchen Tagen lieber ins Internet gehen als vor die Tür. Soziale Medien sind eine nie versiegende Pipeline für Rudimentär-Kontakte.
Ja, ich mag Facebook und Twitter, ihr zwischenmenschliches Grundrauschen. Man darf nur nicht zu viel davon erwarten, etwa dass einem einer der 353 Freunde in physischer Form beisteht, wenn es darum geht, seinen toten Hund in eine zu kleine Tasche quetschen und sich in den Arm nehmen zu lassen. Auch führt mir Facebook oft vor Augen, dass es da ein Leben gibt, an dem ich nicht teilnehme, die vielleicht besser, schöner eingerichtete Welt der anderen, in das ich digital unaufhörlich meine Nase stecke wie dieser wippende Trinkvogel. Die lustige Schauspielerin Mindy Kaling hat den Generalverdacht, der einem beim einsamen Durchscrollen von Facebook und Instagram beschleichen kann, zum Titel ihres Buches gemacht: Is Everyone Hanging Out Without Me?
Mir kommt in den Sinn, dass sich die meisten Menschen nicht im melancholischen November, sondern im Sommer umbringen – weil dann alle anderen augenscheinlich fröhlich sind und der Kontrast zum eigenen Leben unaushaltbar wird: So ähnlich schreibt es jedenfalls Émile Durkheim in seiner berühmten Selbsttötungsstudie, das ist eines von drei Dingen, die ich mir aus meinem Soziologiestudium gemerkt habe.
Facebook und das Leben der anderen machen mich allerdings nicht traurig, vor allem nicht neidisch. Ich habe dort eher das entgegengesetzte Problem: Je näher ich die Menschen betrachte, je tiefer sie mir Einblicke in ihr Leben und ihren Charakter gewähren wie bei einer Sozial-Endoskopie, desto unappetitlicher und unerstrebenswerter finde ich viele und vieles. Und sehne mich eher nach der »Gnade des Nichtwissens«, wie Sascha Lobo das einmal in diesem Zusammenhang nannte. Facebook macht mich also nicht einsamer, aber auch nicht un-einsamer. Auf keinen Fall macht es für mich dem »allmählichen Schwund der sozialen Vernetzung ein Ende«, wie der Anthropologe und Facebook-Forscher Daniel Miller schreibt.
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Die Fähigkeit in Gemeinschaft zu leben hängt auch davon ab, wie man mit Eindrücken von Mitmenschen umgeht. Die Sekte der Leistungsgesellschaft hat vielen ihrer Opfer leider erfolgreich eingetrichtert, daß dessen Eigenschaften den Wert eines Menschen ausmachen. Man kennt viele Gründe andere Menschen nicht mehr in Liebe zu betrachten und verliert so die Liebe in sich mehr und mehr.